Sonntag, 1. November 2020

Off Topic: Elektromobilität II - Die Wahl des passenden Fahrzeugs

Nachdem im ausführlichen Selbstversuch (Link) festgestellt wurde, dass Elektromobilität grundsätzlich eine Möglichkeit ist und der vorhandene PKW ohnehin zum Austausch anstand, stellte sich als nächstes die Frage: welches Fahrzeug kommt denn eigentlich für einen Kauf in Frage? Das erfordert -zumindest im Moment noch- eine gewisse Nabelschau. Soll heissen: man muss sich über seine Anforderungen an das Auto einigermassen im Klaren sein, denn sonst droht die Gefahr eines Fehlkaufes. Eine Analyse des eigenen Fahrprofiles muss her - und zwar eine möglichst objektive.

Das ist natürlich das genaue Gegenteil von dem, was die Autoindustrie so gerne predigt, indem sie versucht, den Autokauf ein Gefühlsmomentum zu verpassen (z.B. "Freude am Fahren"). Bei diesem Verfahren sollen objektive Faktoren wie Fahrzeuggrösse, Verbrauch, Nutzwert etc. absichtlich ausgeblendet werden. Wobei das Ziel aus Sicht des Verkäufers selbstverständlich darin besteht, dass der Käufer mehr ausgibt als eigentlich notwendig. Offenbar mit Erfolg: während die durchschnittliche Fahrleistung schon seit Jahren bei unter 15.000 km (Link) stagniert, erhöhte sich der durchschnittliche Neuwagenpreis auf mittlerweile über €34.000 (Link). Eine Summe, für die man dank zurzeit insgesamt fast  €9.500 Prämie locker einen guten Elektro-PKW bekommt.

Während man beim Verbrenner gewisse Faktenlagen durchaus übersehen kann (und dadurch zu gross, zu teuer, zu irgendwas kauft), kann so etwas beim Elektrofahrzeug schneller zu Frust führen. Daher ist es erforderlich, sich selbst und seine Anforderungen realistisch einzuschätzen. Ein zu grosses Auto als Verbrenner gekauft führt 'nur' zu überflüssigem Verbrauch, zu teurer Versicherung oder häufigerer Suche nach der passenden Parklücke. Beim Stromer dagegen sind eingeschränkte Reichweite oder ein zu teures Batterie-Upgrade die gravierendere Folge. Wie kann man das also angehen? 😏

Als erstes sollte das eigene Fahrprofil bekannt sein bzw. ermittelt werden. Einen guten Anhaltspunkt ist die Einstufung in einen der in diesem Video genannten 5 Level, vom Wenig- bis zum Vielfahrer. Hier spielen neben den reinen km-Leistungen und der Reichweite aber auch zwei Faktoren eine Rolle, die man beim Verbrenner nicht findet und die nicht sofort ins Auge springen: Ladegeschwindigkeit und Lademöglichkeiten.

Auf den ersten Punkt kommen die meisten Leute (noch) nicht ohne weiteres. Die Überlegung: im Grunde ist es relativ egal, wieviel Reichweite man hat, wenn das Laden schnell genug geht. Ein Extrem in dieser Richtung ist der Porsche Taycan (derzeit Porsche Bestseller!), der zwar nur etwa 200 km Reichweite ausweist, aber 100 km in wenigen Minuten nachladen kann. Die meisten Elektrofahrzeuge schaffen das nicht, aber wie gleich erklärt wird, das ist oft auch nicht erforderlich. Es ist aber erforderlich, dass man weiss, was sein Auto kann.

Lademöglichkeiten sind nur für manche Gruppen kritisch. Für welche und unter welchen Umständen, soll hier ebenfalls aufgezeigt werden. Es gibt einige denkbare Fahrprofile, an dieser Stelle werden zur Vereinfachung nur 3 exemplarisch aufgeführt, alle weiteren sind mehr oder weniger Mischformen dieser 3:

-1: Wenig-/Stadtfahrer:

Für diese Gruppe spielt die Reichweite des Fahrzeuge keine Rolle. Fahrzeuge wie der e-Up, der eGolf, Renault ZOE (bis 2019) oder der eSmart haben etwa 120-200 km Reichweite, in Stadt und Umland kann man damit lange auskommen. Denn im Gegensatz zum Verbrenner heisst "Stop an Go" für das Elektrofahrzeug nicht mehr, sondern weniger Verbrauch. Das liegt an der in der Stadt häufiger einsetzenden Rekuperation, die etwa 60% der Anfahrenergie beim Bremsen zurückgibt.

Die Akkus sind in dieser Klasse relativ klein, laden kann man daher mit der Schukosteckdose zu Hause oder mittlerweile oft auch beim Einkaufen unterwegs bzw. im Parkhaus (diese Säulen laden schneller als Schuko). Das spielt bei diesem Profil aber keine Rolle. Es muss nur klar sein, dass Ferntouren (>150 km) mit so einem Fahrzeug keine gute Idee darstellen - vor allem nicht auf der Autobahn. Allerdings gilt das auch für Verbrenner der gleichen Grösse.

-2: Pendler/Gelegenheitsfernfahrer

Für die typischen Pendlerstrecken von 20-50 km täglich gibt es mittlerweile geeignete Mittelklassefahrzeuge, die auch nicht jeden Tag nachgeladen werden müssen. 250+ km sind hier eine typische Reichweite, sofern die Strecke nicht zu 90% aus Autobahn besteht, z.B. VW ID.3, Peugeot e208/eCorsa, Hyundai Kona/KIA eNiro, Renault ZOE (ab 2020) und weitere. Man sollte aber zu Hause und/oder am Arbeitsplatz laden können, sonst muss man ab und zu an den Schnelllader bzw. beim Einkaufen oder im Parkhaus nachladen. Für das Laden zu Hause sollte eine Wallbox installiert sein (zur Infrastruktur kommt später noch ein Artikel).

Dies ist auch für die gelegentlichen Fernstrecken erforderlich, etwa im Urlaub. Hier bekommt man dann aber bei Beachtung der optimalen Ladefenster auch schon 200 km in weniger als einer halben Stunde nachgeladen. Strecken bis 600 km mit überwiegend Autobahn bekommt man auf diese Weise noch recht zügig mit 2-3 kurzen Pausen hin. Wer weiss, dass es mehr wird (oder wem weniger Pausen lieber sind), kann bei den meisten Modellen noch zu grösseren Akkus greifen.

-3: Fernpendler/regelmässiger Fernfahrer

Ja, auch das gibt es bereits! Allerdings ist die Auswahl hier (noch) beschränkt. Grund ist, dass die Autohersteller (ausser Tesla) einige Zeit gebraucht haben, um zu erkennen, dass eine grosse Batterie alleine (d.h. ohne entsprechende Ladegeschwindigkeit) nicht viel wert ist. Tesla unterhält dazu sein eigenes Ladenetz, aber die Stromlieferanten rüsten inzwischen ebenfalls auf. Auch Strecken >1000 km sind hier mit etwas Planung noch gut realisierbar.

In derartigen Fahrzeugen (z.B. Tesla Model 3, Audi eTron, Porsche Taycan) werden in der Regel recht grosse Akkus mit hohen Ladeströmen kombiniert. Dadurch verkürzen sich die Ladestopps, sodass längere Strecken auch zeitlich kein Problem mehr darstellen. Bei so langen Strecken sollte allerdings auch beim Verbrenner eine gelegentliche Pause mit drin sein - allein aus Gründen der Verkehrssicherheit.

Schon an dieser Aufteilung kann man hoffentlich erkennen, dass man sich mit der falschen Wahl die "Freude am elektrischen Fahren"😉 durchaus versauen kann. Es ist zu beachten, dass die Grösse des Fahrzeuges alleine nichts über die Reichweite sagt, ebenso wie die Grösse des Akkus. Beides muss nicht nur zum Fahrprofil, sondern auch zueinander (!) passen. Kurz zwei Beispiele, wie man es nicht machen soll:

- Am 12.10.2020 lief im N3-Fernsehen in der Sendung DAS ein Beitrag über 2 Redakteure, die mit einem eGolf eine Fernstrecke von Hamburg nach Bentheim (ca. 330 km) und zurück machen wollten. Und sich dann wunderten, dass das mit kleinem Akku, hohem Verbrauch und langsamer Ladung sehr schlecht funktionierte. 😠 Es gibt einen Grund, warum dieses Fahrzeug unter Profil 1 gelistet ist. Dass mit solchen Beispielen Stimmung gegen die Elektromobilität gemacht wird, ist sehr ärgerlich. Mit z.B. einem Verbrenner-Smart hätte das Bild wohl ähnlich ausgesehen - und wäre genauso sinnlos gewesen. Nur dass wahrscheinlich dann niemand als Fazit sagen würde 'Verbrennertechnologie ist Mist'. Richtig ist: das Auto passte nicht zum Einsatzzweck.

- Als Jaguar 2018 mit dem iPace sein erstes Elektrofahrzeug auf den Markt brachte, hatte dieses von Anfang an einen 90 kWh grossen Akku. Bis zum Modelljahr 2021 gehörte aber eine 4,6-kW-Bordelektronik dazu (Einphasenlader). Wer also eine der üblichen 11-kW-Wallboxen installiert hatte, wunderte sich anfangs über die langsame Aufladung. Für Leute, die überwiegend mit Wechselstrom laden, ist das ein KO-Kriterium; der wirklich grosse Akku ist dann gut für gar nichts.

Ein mögliches Hindernis sollte zum Schluss nicht unerwähnt bleiben, nämlich Spezialanforderungen. Wer z.B. regelmässig Anhänger ziehen oder Dachlasten befördern will, muss sich derzeit noch etwas genauer umsehen. Zwar haben die meisten Hersteller erkannt, dass Anhängerkupplungen zum Fahrradtransport -speziell auch für eBikes- mittlerweile ein Muss darstellen. Bei echtem Anhängerbetrieb wird die Luft aber schon dünn. Die Auswahl an passenden Fahrzeugen wird sich erst im Jahr 2021 wesentlich erhöhen, entsprechende Modell sind bereits angekündigt oder in Vorproduktion (z.B. Tesla Model Y, VW ID.4/Skoda Enyak, Volvo XC40, Aiways U5).

Eine schöne, übersichtliche Liste verfügbarer Fahrzeuge, inklusive ihrer Preise und Leistungen findet sich übrigens hier (Format Excel, Google-Konto erforderlich).

Bleibt nur noch die Auflösung der Frage: und was ist es bei den Stadtimkern geworden? Das Fahrprofil fällt klar in die Klasse 2: viel Stadtverkehr, gelegentliche Mittelstrecken so um die 50-150 km, regelmässiger Fahrradtransport, ab und zu etwas längere Strecken im Urlaub: bis etwa 600 km pro Tag, bei über 1000 km generell mit Übernachtung, alles für 2 Personen. Antwort:

Auch mit der 58 kW-Batterie stellen die Anforderungen kein Problem für den ID.3 dar. Das Fahrzeug ist nach den bisherigen Berichten effizient, der Akku ausreichend gross, die Ladegeschwindigkeit hoch: selbst die etwas längeren Strecken sollten mit wenigen Stops erledigt sein. Eine Nachkalkulation des letzten Urlaubs nach Heilbronn (etwa 530 km) mit ABRP ergab 6 Stunden Fahrzeit, inklusive 2 Stops mit 15 und 35 Minuten. Das ist nur unwesentlich mehr als mit dem tatsächlich genutzten Benziner, mit dem wir auf halber Strecke auch eine Mittagspause von über 30 Minuten gemacht haben - und der dann kurz vor Schluss dann auch noch mal betankt werden musste. Somit ist dem Wagen zumindest auf dem Papier uneingeschränkte Tauglichkeit für dieses Profil zu bescheinigen.

Und mit etwas Glück wird der Wagen vielleicht noch dieses Jahr geliefert - mal sehen. 😅

[Nachtrag: Lieferung war schliesslich am 23.12. - der Weihnachtsmann kam mit Extraanhänger]👍👍

Links:

Weiter mit Elektromobilität Teil III

Zum E-Mobilitätsblog der Stadtimker

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Ich selbst speichere keine Daten.