Sonntag, 22. November 2020

Off Topic: Elektromobilität V - Ökonomische Betrachtungen, Politik, Berechnungen und Erwartungen

[Hinweis: ab 2021 erscheinen alle Artikel zur Elektromobilität in einem eigenen Blog]

Es gibt (noch) ziemlich viele Argumentationen, die sich gegen die Elektromobilität richten. Diese lassen sich ganz grob in drei Bereiche unterteilen: Ökonomie, Ökologie und Komfort. In diesem Artikel soll es zunächst nur um die Ökonomie gehen. Die Fragestellung ist dabei relativ einfach: welche ökonomischen Argumente gibt es für oder gegen die Elektromobilität? Das sollte dann auch die Leute erreichen, die mit Begriffen wie Klimawandel oder Umweltschutz eher wenig Berührungspunkte haben.

Es schwirren dabei einige -sagen wir mal interessante- Aussagen durch die Gegend. Alle zielen darauf ab, alleine die Möglichkeit des Umbaus der Mobilität in Richtung Elektroantrieb in Frage zu stellen. Und nur die wenigsten davon liefern irgendwelche Belege für die jeweilige Aussage. In Bezug auf Ökonomie laufen sie aber alle in eine Richtung: "Elektrofahrzeuge werden sich nicht durchsetzen: sie sind technisch unterlegen und viel zu teuer".

Abgestimmt wird aber am Ende oft mit der Brieftasche. Dann machen wir jetzt mal den Faktencheck. Alle Links auf Quellen finden sich am Ende des Textes.

Bevor es richtig losgeht, soll hier aber zunächst ein kleines Gedankenexperiment stattfinden. Man stelle sich vor, es sei das Jahr 1888 und man begegnet einer Dame auf einem sehr ungewöhnlichen Gefährt: eine Kutsche ohne Pferde, aber mit Motor. Die Dame erklärt, ihr Name sei Bertha Benz dies sei die Zukunft der Mobilität.

Was hätte man (rein ökonomisch!) entgegnen können? Hier ein paar Beispiele:

"Alle paar Kilometer Benzin kaufen beim Apotheker? Das ist doch was für reiche Leute."" 

"In jedem Dorf beim Schmied anhalten, weil irgendwas kaputt ist?"

"Und was der nicht kann, muss ich selber machen? Ich bin doch kein Handwerker."

"Wo bekommen Sie all die Kutscher her, wenn das soviele Fahrzeuge werden, wie Sie denken?"

"Wieviel teurer ist so ein Motor gegenüber einem Pferd in Anschaffung und Unterhalt noch mal?"

"Wenn das tatsächlich immer mehr Leute machen, wie kommen die an all die Betriebsstoffe? Öl gibt es doch nicht an jeder Ecke."

Zinnggg - Sprung ins hier und Heute. Leider können wir heute nicht mehr in Erfahrung bringen, was sich Frau und Herr Benz & Co. genau alles anhören und lesen mussten. Aber jedenfalls kam es ganz anders. Wenden wir uns damit mal dem derzeitigen Stand zu.

Bevor es zu den oben genannten Punkten und der Frage der betriebswirtschaftlichen Kosten für den Einzelnen geht, vorher noch etwas Volkswirtschaft. Etliche Staaten haben finanzielle Interessen in diesem Spiel. In Europa gibt es noch 2 grosse Autonationen, Deutschland und Frankreich. Italien darf noch etwas mitspielen, der Rest (GB, Schweden, Spanien, Tschechien...) ist fest in deutscher, französischer, chinesischer und indischer Hand (Jaguar, Saab, Volvo). Das bedeutet: die Produktion ist auf Export ausgerichtet, der einheimische Markt kann die Produktion bei weitem nicht aufnehmen. Die Produktion deutscher Fabriken wird zu etwa 75%  exportiert, das Meiste davon nach Europa; in den grösseren Märkten ausserhalb (USA, China, Südafrika, Mexiko...) gibt es eigene Fabriken. Deutschland führt die weltweite (europäische) Exportstatistik bisher mit weitem Abstand an.

Der Punkt ist: der Rest der Welt wartet nicht auf uns. Viele europäische Länder -darunter auch die wichtigeren Abnehmer GB, NL und B- haben bereits ein Verbrennerverbot erlassen. Norwegen macht 2025 (in 4 Jahren!) den Anfang, 2030 kommt dann die nächste Welle. Im weltweitgrössten Automarkt China gilt eine Regelung, nach der jeder Hersteller einen Elektroanteil von mindestens 20% erreichen muss, es gibt dort mittlerweile über 500 registrierte Hersteller von Elektrofahrzeugen. Im Gespräch ist dort ein Verbrennerverbot für 2035. Wer soll also noch die deutschen Verbrenner kaufen? Frankreich versucht übrigens, das über eine Sondersteuer nach Gewicht zu regeln, die speziell auch deutsche Fahrzeuge belasten wird. Noch nicht berücksichtigt sind hier die Überlegungen der EU zur Einführung einer Euro-7-(Abgas)Norm.

Zuletzt gab es Forderungen nach einem staatlichen Verbrennerrabatt mit Elektrogutschein nach 3-5 Jahren. Wer also jetzt einen Verbrenner kauft, soll demnach auf Steuerzahlerkosten einen Gutschein für den Kauf eines Elektrofahrzeuges in 3-5 Jahren erhalten. Volkswirtschaftlich bedenklich (der Strukturwandel würde verschleppt) kann das auf den ersten Blick industriepolitisch Sinn machen. Die deutsche Autoindustrie ist derzeit noch nicht in der Lage, die stark steigende Nachfrage nach Elektromobilen zu befriedigen, was nach Ablauf dieser Zeit anders aussehen dürfte. Problematisch sind aber 3 Punkte: 

  • zum Ersten wird damit das Problem der Strafzahlungen an die EU noch verschärft, denn mehr Verbrenner bedeutet höhere CO2-Werte. Die Konsequenz wäre, dass letztlich der Steuerzahler die Strafzahlungen der Hersteller bezahlt.
  • zum Zweiten würden davon besonders ausländische Marken mit kleineren Fahrzeugen stark profitieren, wie seinerzeit von der 'Abwrackprämie'.
  • und zum Dritten erreicht man letztlich in deutschen Fabriken nur den deutschen Absatz, also lediglich 25% der Produktion.
Somit läuft dieser ganze Komplex erkennbar auf eine leicht verzögerte Verzwergung der deutschen Autoindustrie hinaus. Das kann niemand ernsthaft wollen.

Einwände gibt es ebenfalls bezüglich der Infrastruktur. Volkswirtschaftlich sind diese aber recht überschaubar, da Ladesäulen (ausser Schnellladern) wesentlich billiger sind als Tanksäulen und Stromleitungen billiger als Pipelines, Ölttanker oder Tank-LKW. Spezielle Ladeparks sind bereits im Aufbau; sie sind vollautomatisiert und erzeugen übrigens ihren Betriebsstrom oft teilweise selbst. Individuell muss man für Bequemlichkeit bezahlen, wenn man zu Hause per Wallbox schneller laden will oder muss (eine Möglichkeit, die Verbrennernutzern normalerweise nicht zur Verfügung steht). Insgesamt hält sich das im Rahmen, zumal es auch hier -zumindest derzeit- einen Zuschuss vom Bund und manchen Ländern gibt.

Damit geht es zur Betriebswirtschaft, also den individuellen Fahrzeugkosten. Dass ein Elektrofahrzeug im Unterhalt billiger ist, dürfte sich herumgesprochen haben. Längere Wartungsintervalle und weniger Verschleissteile (z.B. kein Kühler, Auspuff, Lichtmaschine, Motor, Kat...) führen zu wesentlich geringeren Wartungskosten. Logischerweise sind die Kosten für einen Service ebenfalls niedriger. Und dieser findet auch seltener statt: den Vogel schiesst hier bisher der chinesische Hersteller Aiways ab. Für das seit kurzem erhältliche Modell U5 verspricht er ein Intervall alle 100.000 km (!) - egal wie lange man dafür braucht; bei durchschnittlich 15.000 km/Jahr also etwa alle 6,5 (!) Jahre. Und bei Tesla gibt es zurzeit keine fixen Termine, nur Empfehlungen. Die meisten etablierten Autohersteller sind mit 2-Jahres-Zyklen natürlich konservativer - schon weil sie ein Händler- und Wartungsnetz auslasten müssen. Aiways hat dafür in Deutschland einen Vertrag mit der Kette ATU abgeschlossen, hat also gar keine entsprechenden Fixkosten.

Entspannt ist bisher auch das Verhältnis des Elektrofahrers zu Versicherungen, Beispiel ID.3: ein Fahrzeug mit 150 kW und Neupreisen zwischen 30-40 TEUR kostet Vollkasko in SF20 etwa €200-250 pro Jahr und damit deutlich weniger als vergleichbare Verbrenner. Und über Steuern redet der Elektrofahrer sowieso nicht, bis 2030 steht die schwarze Null.😎 Dass man momentan noch damit auch an vielen Orten noch umsonst parken oder sogar laden kann, ist hier nur das Sahnehäubchen.

Dasselbe gilt ebenso für die Kosten des reinen Fahrens. Der ADAC hat die bisherigen Erkenntnisse zum Thema schön zusammengefasst (alle Daten gelten für den Durchschnittsfahrer). Auf Basis heutiger Spritpreise sind Benziner demnach schon jetzt wesentlich teurer, Diesel dagegen gleichauf. Diesel ist allerdings auf historisch niedrigem Niveau, während der Strompreis in Deutschland der zweithöchste in Europa ist. Es ist in der Diskussion, den Strom für Elektromobilität von der EEG-Umlage zu befreien; wenn das kommt, hat sich auch das erledigt.

Damit kommen wir zur Betrachtung der Dieselsubvention. Und ja, der Gesetzgeber listet die 20 Cent, die auf einem Liter Diesel weniger an Steuern liegen, nicht als Subvention. Forderungen nach der Abschaffung wurden schon öfter erhoben, bisher aber immer erfolgreich von der Autolobby und den Wirtschaftsministern einzelner Bundesländer (die hier wohl nicht aufgezählt werden müssen 😈) abgebügelt. Aber die Front bröckelt, denn der Diesel ist eine überwiegend deutsche Sache - und bis September 2020 betrug der der Marktanteil des Diesels nur noch 25,6% nach 32% in 2020. Von den einst stolzen teilweise 50%+ ist also schon jetzt nur noch wenig übrig. Im Oktober 2020 lagen die Neuzulassungen für Elektrofahrzeuge (Stromer und Plug-In-Hybride) sogar erstmalig über denen der Diesel. Und sobald die Besteuerung auf CO2-Werte verschärft und mit Beginn 2021 der Steuervorteil langsam abgeschmolzen wird,... das kann sich jeder selbst ausrechnen.

Bleiben noch die Anschaffungskosten. Dazu muss man wissen, dass im Autobau der Herstellungspreis extrem stark mit der Stückzahl skaliert. Kleine Stückzahlen führen zu überproportional hohen Preisen, grosse Stückzahlen zu dramatischen Kostensenkungen. Die etablierten Massenhersteller haben deswegen anfangs versucht, vorhandene Verbrenner aus der Grossserie umzubauen (nun ja, das erste Auto von Frau Benz war auch eine umgebaute Kutsche 😒). Das hat überwiegend nicht gut geklappt, weil das im Endeffekt trotzdem Kleinserienbau war und somit nicht Kernkompetenz. Dazu sollten diese Umbauten eigentlich wohl auch nicht wirklich Erfolg haben; der profitablere Verbrenner war wichtiger. Somit waren die ausgelobten Preise praktisch aller Hersteller politische Preise, die nichts mit den Herstellungskosten zu tun hatten (für Wasserstoffautos gilt das übrigens immer noch).

Mittlerweile gibt es aber reine Elektroplattformen, diese profitieren in jeder Hinsicht von der neuen Ausrichtung: bessere CW-Werte, bessere Lage der Batterien, bessere Raumaufteilung, weniger Platzverschwendung im Motorraum etc. Und natürlich wesentlich grössere Serien, die einen z.T. drastischen Preisverfall erwarten lassen. Selbst, wenn man den rasanten technischen Fortschritt ausser acht lässt, der vor allem auch die Batteriepreise sinken lässt.

Ist also die Anschaffung eines  Elektrofahrzeuges -jetzt, Ende 2020- "teuer"? 😏 Mal sehen: im Jahr 2019 kostete ein neues Auto im Durchschnitt knapp €35.000. Mit den derzeitigen Prämien von knapp €9.500 bekommt man für diesen Preis eine Elektroneufahrzeug der unteren Mittelklasse (z.B. VW ID.3, Kia eNiro, Hyundai Kona). Etwas kleinere Fahrzeuge (z.B. Opel eCorsa, Peugeot 208e) liegen deutlich darunter, etwas grössere (z.B. Aiways U5, Skoda Enyak, VW ID.4) sind in Vorproduktion und werden in Kürze dafür zu haben sein. Wer es billiger will, kann entweder auf den Renault ZOE zurückgreifen (neu um €20.000, gebraucht ab unter €10.000) oder z.B. auf den für Mitte 2021 angekündigten Dacia Spring warten (erwarteter Neupreis ab etwa €10.000 inkl. Prämie). Soviel zu den Relationen. Abenteuerlustige können voraussichtlich noch in diesem Jahr die ersten Fahrzeuge chinesischer Produktion kaufen, deren Preise sich ebenfalls in diesen Dimensionen bewegen sollen.

Beim direkten Preisvergleich (z.B. eGolf vs. Golf 7) ist es beliebter Trick, die meist sehr gut ausgestatteten Elektrofahrzeuge (z.B. haben alle eine Standheizung/Vorkühlung, Automatikgetriebe, diverse Assistenten, adaptiven Tempomaten etc.) mit Basismodellen von Benzinern zu vergleichen. Rechnet man die genannten Extras mit ein, sieht die Rechnung schon bei weitem nicht mehr so günstig aus. Und Vergleiche mit den teureren Dieseln bleiben oft gleich komplett aussen vor. Das kann aber jeder selbst ausprobieren, einfach mal den Konfigurator des jeweiligen Herstellers anwerfen. Oder z.B. beim ADAC die Vergleichsberechnungen aufrufen. Man kann natürlich immer noch argumentieren, "den ganzen Luxus brauche ich nicht, das ist mir zu teuer". Richtig, aber individuell - der Durchschnittspreis sagt was anderes. Und das ist ganz etwas anderes als "Elektrofahrzeuge sind zu teuer".

Bleibt noch ein Diskussionspunkt: "Aber die Batterie ist doch das teuerste Teil. Was, wenn sie kaputt geht? Ist das nicht ein wirtschaftlicher Totalschaden?" Definitive Antwort: nein! Es stimmt, die Batterie macht heute -Tendenz sinkend- je nach Fahrzeug ca. 1/3 des Gesamtpreises aus. Aber im Gegensatz zu einem Motor beim Verbrenner wird eine Fahrbatterie in der Regel nicht von heute auf morgen 'sterben'. Was passiert ist, dass die Kapazität abnimmt. Das Phänomen werden die meisten Leute von ihrem Smartphone kennen: mit der Zeit wird die Laufzeit Akkus immer kürzer. Diese so genannte 'Degradation' trifft auch Autoakkus. Das Schlimmste, was passieren kann ist somit, dass die Reichweite am Ende nicht mehr zum eigenen Fahrprofil passt - fahrbereit bleibt das Auto aber trotzdem. Zusätzlich sorgt der modulare Aufbau der Akkus dafür, dass schadhafte Module einzeln ausgetauscht werden können.

Damit das sehr lange dauert, wird allerdings mit einem ausgefeilten Batteriemanagement (BMS) gegengesteuert, um eine möglichst lange Lebensdauer zu gewährleisten. 8 Jahre Garantie sind Standard, Lexus gibt für das erste Fahrzeug sogar 10 Jahre. Tesla ist bisher der einzige Hersteller, der eine entsprechend lange (Daten)Historie hat. Die Erfahrungen dort zeigen, dass trotz hoher km-Leistungen und entsprechend zahlreicher Hochstrom-Ladungen bisher fast keine Fahrzeuge unter die 80%-Grenze (der Originalkapazität) gefallen sind, die die Garantiegrenze darstellen (die auch bei den meisten anderen Herstellern 8 Jahre/160.000 km beträgt). Einzelne Besitzer haben sogar schon die Mio-km-Grenze erreicht. Somit steht zu erwarten, dass die Anzahl Batterie'schäden' deutlich unter denen der Motorschäden bei Verbrennern liegen wird, die in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat.

Links und Quellen:

Weiter mit Elektromobilität Teil VI

Zum E-Mobilitätsblog der Stadtimker

Wikieintrag: Bertha Benz (Link)
Die Fahrt von Berta Benz: (Link
Exporte PKW insgesamt: Wikipedia (Link)
Die wichtigsten Exportländer: Produktion.de (Link)
Exportquote PKW: nach VDA (Link)
Verbrennerverbot in China: Heise.de (Link)
Sondersteuer auf SUV in Frankreich: FAZ.net (Link)
Wartungskosten Elektrofahrzeuge: Finanzen.net (Link)
Gesamtkosten Elektro, Benziner, Diesel: ADAC (Link)
Gesamtkosten für Fahrzeuge, PDF: ADAC (Link)
Strompreise in Europa: Strom-Report (Link)
Produktion Leunawerke: Leuna (Link)
CO2-Steuer-Rechner: Auto-Presse (Link)
Durchschnittspreise Neu-PKW: (Link)
Zweifel am Dieselprivileg: Frankfurter Rundschau (Link)
Verbrennerverbote: ADAC (Link)
Strafzahlungen wegen CO2: Auto, Motor und Sport (Link)
Absatzzahlen weltweit: Mobilegeeks (Link)
Zulassungszahlen Deutschland 2019: KBA (Link)
Zulassungszahlen Deutschland September 2020: KBA (Link)
Übersicht Gesamtkosten Strom-Verbrenner: Mobility-House (Link)
Batteriemanagementsystem: Wikipedia (Link)
Sinkende Batteriepreise:  Firmenauto.de (Link
Reparatur Fahrzeugbatterie: YouTube (Link), englisch
Steigende Motorschäden bei Verbrennern: VDI-Nachrichten (Link)

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