Sonntag, 6. Dezember 2020

Off Topic: Elektromobilität VII - Komfort und Fahrerlebnis

[Hinweis: Dies ist hier der letzte Teil der Serie. Ab 2021 erscheinen alle Artikel zur Elektromobilität in einem eigenen Blog]

Viele Leute sehen Elektromobilismus als eine Art Marotte, ein Ausdruck von Exzentrizität. 😁 Das dürfte sich vermutlich mit der Ausbreitung von Elektrofahrzeugen und der weiteren technischen Entwicklung erledigen. Exzentrisch heisst ja per Definition, dass nur wenige Leute etwas machen. Interessant ist aber der Grund, warum das so ist. Oft werden nämlich Sachen benannt, die sich eigentlich alle unter dem Überbegriff Komfort oder auch Bequemlichkeit zusammenfassen lassen.

Hierzu einige Beispiele in Form von Stichworten: es gibt zu wenig Ladepunkte, Ladekabel/Laden sind umständlich, die Ladezeiten sind so lang, die Reichweite ist zu gering, dauernd ist man am Laden, der Stromverbrauch im Stau könnte ein Problem werden, man kann nicht schnell fahren, man kann keine Fahrräder transportieren, man kann keine Anhänger ziehen, die Winterschwäche, keine Kombis...

Na gut, dann gehen wir die Punkte -als vorläufig letzten Artikel dieser Reihe auf diesem Blog- mal durch.

Vorweg: alle genannten technischen Daten sind nur eine Momentaufnahme aus dem Herbst 2020. Die derzeitige technische Entwicklung ist derart rasend, dass man das Gefühl hat, die 120 Jahre Entwicklungszeit der Verbrenner werden für Elektrofahrzeuge innerhalb von 10 Jahren aufgeholt (Link). Selbst wer sich regelmässig informiert, hat mittlerweile Schwierigkeiten, all den Meldungen über neue Entwicklungen zu folgen. Es ist absehbar, dass schon auf Sicht von nur 6-12 Monaten alle genannten Zahlen signifikant besser sein werden. 👆

1) "Es gibt zu wenig Ladepunkte."

Diese -sehr pauschale- Aussage stimmt so höchstens noch für etwas abgelegenere Gegenden in Europa. In Deutschland sieht es so aus: die Bundesnetzagentur listete für Deutschland Ende September 2020 knapp 15.500 öffentliche (!) Ladestationen (Link) - mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass diese nicht vollständig sei. Eine Liste des ADAC unterstreicht dies, dort wurden bereits im Januar 2020 über 24.000 Stationen genannt, weitere 4.000 sollten bis Ende 2020 dazukommen (Link). Das ist plausibel, die Seite GoingElectric listet Ende Oktober schon 27.685 Säulen (Link) und über 60.000 Ladepunkte. 

Dies resultiert aus der Tatsache, dass die meisten Ladesäulen mindestens 2 Ladepunkte haben. Ein weiterer Punkt: diese Zahlen weisen nur geförderte Säulen aus! Da geschätzt mehr als 50% der bereits betrieben Säulen nicht gefördert wurden, kann man die Grössenordnung auf jeden Fall verdoppeln.

Unterteilt man die Verteilung regional, sieht man ein Ost-West-Gefälle (Link), aber generell herrscht kein Mangel mehr. Dazu kommt, dass -nur als Beispiel- grosse Handelsketten wie Lidl angekündigt haben, weitere Filialen mit Ladern ausstatten zu wollen (Link). Interessanter Hinweis am Rande: es gibt nur noch etwa 14.000 Tankstellen in Deutschland und die Zahl ist weiter rückläufig (Link). Und auch dort wird mittlerweile stromtechnisch aufgerüstet (Link).

2) "Ladekabel/Laden (an der Bezahlsäule) sind umständlich."

Ein Argument, welches sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erschliesst. Ja, man muss das Kabel aus dem Kofferraum oder Frontkofferraum ("Frunk", sofern vorhanden) holen und anschliessen. Ausser am Schnelllader. Und zu Hause nur, sofern man keine Wallbox mit festem Kabel hat. Aber wie lange soll das dauern? Länger als die Zapfpistole an der Tanke anschliessen? Und wenn es 5 Sekunden länger dauert, zählt das schon als umständlich?

Der zweite Punkt -Ladevorgang- ist allerdings ernster zu nehmen. Wer einen Tesla fährt oder an eine kostenlose Säule kommt, hat grundsätzlich kein Problem. Theoretisch übrigens niemand, der an eine Säule von Tesla kommt - zumindest zeitweise (Link)😁. Mit Bezahlung vor Ort sieht das aber noch nicht so gut aus. Ladesäulen sind grundsätzlich automatisiert (in Deutschland ist das für Benzin eine Seltenheit). Somit würden die meisten Leute es vorziehen, per EC- oder Kreditkarte zu bezahlen und sich damit zu identifizieren. Dies ist so -noch- selten möglich. Gelegentlich funktionieren Säulen nicht richtig, was sowohl an der Säule, als auch am Internet-Empfang als auch an der Handhabung liegen kann. Fakt ist, man benötigt zurzeit noch entweder eine passende Ladekarte oder eine passende App auf dem Smartphone und Internet. Mindestens eine (kostenlose) Karte bekommt man meist automatisch mit dem Kauf eines neuen Autos; eine weitere gibt es oft beim Hausstromanbieter, die Nachfrage lohnt.

Alle Stromanbieter reagieren übrigens bereits darauf, es gibt hier verschiedene Strategien. Selbst die Tankstellenbetreiber rüsten ihre Stationen auf (Link), Energiekonzerne setzen auf eigene reine Stromtankstellen (Link) und es werden gerade die ersten Ladeparks eröffnet (Link). Diese bieten ausser freiem Internet meist auch Verpflegung und Toiletten. Auch die Bundesregierung arbeitet an einer gesetzlichen Grundlage, um Kartenzahlung vorzuschreiben (Link). Sobald das durch ist, dürfte sich das Thema erledigen, vermutlich im Laufe des nächsten Jahres (2021).

3) "Die Ladezeiten sind so lang."

Ein Auto fährt im Schnitt eine Stunde oder so pro Tag, die restlichen 23 Stunden steht es. 😮Dass die Frage der Ladezeit in diesen und damit den allermeisten Fällen daher vollkommen irrelevant ist, wurde ja bereits in Teil 3 dieser Serie (Link) ausführlich aufgezeigt bzw. vorgerechnet. Bleibt somit nur die Ladezeit, wenn man unterwegs auf einer längeren Strecke ist und an den Schnelllader geht, denn nur hier gilt Ladezeit=Wartezeit. Kenngrösse ist die Ladung in km/Minute: wieviele Kilometer kann ich pro Minute Ladezeit nachladen? Das hängt von bestimmten Bedingungen ab: Grösse des Akkus, Bordelektronik, Ladegeschwindigkeit und Ladestand bei Ankunft und Abfahrt. Um es kurz zu machen: alle derzeitigen Fahrzeuge können an Schnellladern unter halbwegs günstigen Bedingungen -sagen wir: 75kW Ladeleistung bei 17,5 kW Verbrauch- 17,5kW/(75kW/60min)= 100km in 14 Minuten laden. Das ist die aktuelle Mittelklasse, bessere Autos können das noch schneller. Letztlich heisst das: alle 200-300 km eine Pause von 25-35 Minuten machen. Wem das noch zuviel ist, mag wahrscheinlich Fahrpausen generell nicht.

Eine Beispielrechnung: wir fahren im Urlaub Strecken von etwa 550-700 km pro Tag (länger also mit Übernachtung). Etwa 100 km/h Schnitt sind erfahrungsgemäss bei längeren Autobahnfahrten auch mit dem Verbrenner realistisch, die reine Fahrzeit beträgt hier also 5,5-7 Stunden. Bei einer Abfahrt um z.B. 10 Uhr ist eine kleine Mittagspause um 13 Uhr angemessen, Ankunft vielleicht 15:30 Uhr oder so. Mit dem Elektroauto kann man in 30 Minuten Pause locker 200+ km nachladen. Somit würde sich bei einer etwas längeren Strecke ein Zusatzstopp von 10-20 Minuten ergeben. Das sollte für die meisten Leute mit diesem Ansatz akzeptabel sein - man ist ja im Urlaub, nicht auf der Flucht.😅 Ansonsten hat man noch die Option, einmal im Jahr einen Verbrenner zu mieten.

4) "Die Reichweiten sind zu gering."

Erst einmal hängt das von den persönlichen Anforderungen ab (s. Teil 2 dieser Reihe). Ansonsten ist das ein Vorurteil, das sich vermutlich noch aus der Anfangszeit der E-Mobilität speist. In der Tat haben anfangs die Hersteller einfach Verbrenner umgebaut und damit die Erwartung geweckt, dass z.B. ein E-Golf genauso funktioniert wie Verbrenner-Golf. Das konnte so nicht funktionieren - und sollte es wohl auch nicht. Es gibt einen Grund, warum die ersten Autos wie Kutschen aussahen - und warum sie es heute nicht mehr tun. Seitdem allerdings moderne Batterie- und Ladetechnik für Fahrzeuge verfügbar sind und es Elektroplattformen gibt, sieht die Welt anders aus. Bis auf Kleinwagen (bei denen das keine Rolle spielt), haben praktisch alle PKW, die seit etwa 2019 auf den Markt kamen, Reichweiten von deutlich über 200 km unter realistischen Fahrbedingungen. Im Stadt- und Landstrassenverkehr liegen sie meist deutlich darüber, über 300 km sind dann normal. Wer es darauf anlegt, kann auch über 500 km (WLTP) bekommen. Und die Batterietechnik entwickelt sich gerade rasant. In 2-3 Jahren dürfte kein Mensch mehr darüber reden (Link). Und apropos WLTP: im reinen Stadtverkehr werden die Reichweitenangaben -im Gegensatz zu Verbrauchsangaben bei Verbrennern- meist deutlich übertroffen, weil die Rekuperation etwa 60% der Anfahrenergie zurückbringt.

5) "Dauernd ist man am Laden."

Das hängt natürlich auch vom vorherigen Punkt ab. 😐Wer mit einem Kleinstakku unterwegs ist und eine längere Pendelstrecke hat, für den mag das zutreffen: eSmart oder eGolf können vielleicht 120 km, für eine Strecke Nienburg-Hannover und zurück wäre das tatsächlich schon zuviel. Dann hat man das falsche Auto für die Anforderung, ausser man kann zu Hause und bei der Arbeit laden. Aber wie sieht es den für den Durchschnittsfahrer aus? Der legt heute kaum 15.000 km pro Jahr zurück, das sind etwa 40 km pro Tag oder 210 km pro Woche. Selbst mit einem eUp kann man das schaffen, sofern nicht grössere Anteile auf der Autobahn dabei sind. Für alle derzeitigen Modelle darüber stellt das ohnehin keine Hürde dar.

6) "Ich könnte bei Kälte im Stau stehen, dann ist womöglich nach 2 Stunden der Strom alle."

Das ist allerdings reine Fantasie. Es haben schon etliche Leute getestet, was passiert, wenn man bei Kälte herumsteht und nur die Heizung anmacht. Zum Teil sogar unter sehr extremen Bedingungen. Dazu finden sich unter Links hier ganz unten mehrere Videoberichte von Youtube. Zusammenfassung: auch wenn man eine ganze Nacht im Auto zubringt, verbraucht man kaum mehr als 5 kW. Dies entspricht dem Verbrauch von vielleicht 30 Kilometern, selbst unter 10% Ladestand würden einen noch über die Nacht bringen. Ein Benziner oder Diesel auf Reserve hätte da sicher deutlich mehr Probleme.

7) "Man kann nicht wirklich schnell fahren."

Das hängt von der Definition ab - was ist schnell? Ausser bei Tesla (deren Modelle etwa 210 bis 260 km/h liefern), Audi oder Porsche sind die meisten Fahrzeuge abgeriegelt. In der Mittelklasse bei 160-180 km/h, bei Kleinwagen noch darunter. Dies dient der Schonung der Batterie bzw. der Verlängerung der Reichweite. Aber wer will mit einem Smart 160 fahren (die liefert auch die Verbrennervariante nicht)? Auch bei Verbrennern sind in der Regel sehr schnelle Fahrzeuge etwas teurer. Ob man regelmässig schneller fährt, hängt natürlich vom persönlichen Fahrverhalten ab. Und dieser Riegel hat bei keinem Elektrofahrzeug Auswirkungen auf das Sprintvermögen, in der Regel können auch kleinere Fahrzeuge wie der eSmart oder der e-Up an der Ampel mit deutlich grösseren und stärkeren Verbrennern mithalten oder diese sogar stehen lassen.

8) "Man kann keine Fahrräder transportieren."

Das war in der Tat bis zu diesem Jahr ein Problem. Elektrofahrzeuge hatten anfangs keine (offizielle!) Möglichkeit, eine Kupplung für Fahrradträger zu installieren. Und andere Lösungen -etwa für die Heckklappe- sind speziell für eBikes wegen des Gewichtes nicht wirklich eine Option. Zwar konnte man bisher trotzdem schon entsprechende Kupplungen kaufen (etwa für Renault Zoe oder Hyundai Kona), ging aber dafür der Garantie verlustig. Das ist mittlerweile Geschichte. Fast alle aktuellen Modelle ab der unteren Mittelklasse (auch die genannten) bieten nunmehr eine entsprechende Kupplung als offizielle Option an. Eine Kupplung für Lasten (Fahrräder etc.) gibt es auch für kleinere Fahrzeuge.

9) "Man kann keine Anhänger ziehen."

Auch das war bis vor kurzem korrekt. Ausser Tesla bot praktisch niemand Elektrofahrzeuge mit Anhängerkupplung an. Allerdings hat jetzt VW mit dem ID.4 bzw. Skoda Enyak zwei Modelle in Vorproduktion, die diese Möglichkeit bieten. Beide Modelle beginnen bei unter €30.000. Wenn nicht gerade mehrere Tonnen bewegt werden müssen, ist also auch diese Herausforderung lösbar. Es ist davon auszugehen, dass auch diese Anforderung bei der Konstruktion zukünftiger Fahrzeuge verstärkt Berücksichtigung finden wird.

10) "Und was mache ich im Winter? Die Batterie..."

Fahrbatterien haben einen idealen Arbeitstemperaturbereich von etwa 15-35 Grad. Speziell im Winter lässt daher die Leistungsfähigkeit nach, mit Leistungsverlusten von etwa 20% sollte man schon bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und darunter grundsätzlich rechnen (Link). Während das für die Stadtfahrer keine Rolle spielt (ob das Fahrzeug nach 40 Kurztouren oder 30 aufgeladen werden muss, ist wahrscheinlich egal), ist es für die Mittelstreckenpendler und Langstreckenfahrer eher interessant. Allerdings kann man hier mit Bordmitteln gegensteuern. Eine Wärmepumpe (für praktisch alle mittleren und grösseren Modelle Serie oder als Option verfügbar und empfehlenswert) sorgt für Erwärmung/Kühlung des Akkus, damit dieser in möglichst optimalen Bereichen arbeiten kann. Sehr praktisch ist dies, wenn das Fahrzeug dabei noch an der Ladestation hängt: dann kann man vorheizen, ohne Akkuenergie zu verbrauchen.😎Aber auch wenn nicht, verbraucht die Heizung während der Fahrt nicht soviel Energie, im Stand (etwa bei einem längeren Stau) kann man mit wenigen kW auskommen.

Übrigens: ein Elektrofahrzeug fährt (mit eingeschränkter Reichweite) auch dann noch, wenn es so kalt ist, dass beim Diesel der Treibstoff ausflockt.

11) "Ich will einen Kombi, aber es gibt keine mit Elektroantrieb!"

Das ist Stand heute (Ende 2020) und auf absehbare Zeit korrekt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Massenmärkte mit der gerade anlaufenden Massenproduktion müssen zuerst bedient werden. Und der Kombi ist eine sehr deutsche Sache. Ausserhalb Deutschlands läuft der Typ fast gar nicht - und selbst hier ist er durch das Aufkommen der SUVs mittlerweile gefährdet. Die Fragen lauten für die Meisten letztlich ja nur: "ist genügend Platz, auch in der Länge?" und "was ist der Mehrpreis?". Da es mittlerweile SUVs, Crossover und seit neuestem 'Shooting Brakes' gibt, die diese Fragen offenbar zufrieden stellend beantworten, wird der klassische Kombi wohl auch in Deutschland zukünftig zum Nischenmodell. Wer unbedingt die Bauform lang/flach in Elektro will, muss sicher noch etwas warten (VW hat einen für 2024 angekündigt) - oder einen Skoda Enyak, Audi eTron 50 oder Tesla Model S kaufen.

12) "Und was ist mit dem Fahrkomfort?"

Haha, reingefallen: der Punkt stand nicht auf der Liste!😈 Warum eigentlich kommt das in solchen Diskussionen nie? Ganz einfach: dieser Punkt fällt derartig eindeutig zu Gunsten des Elektrofahrzeuges aus, dass noch nie jemand nach einer Probefahrt im Elektromobil behauptet hat, "mein Verbrenner fährt sich aber leiser/spritziger/entspannter/sonstwie besser". "Freude am Fahren", das ist heute Elektroauto und gilt keineswegs nur für die Beschleunigung oder den Wendekreis. Das geht mittlerweile so weit, dass in der Gemeinde der Elektrotester schon gemault wird, wenn man sich bei Tempo 150 nicht in normaler Lautstärke unterhalten kann. Oder telefonieren. Oder man einen Zünd(?!)schlüssel benutzen muss. Oder der Status des Vorheizens/Vorkühlens nicht auf der App zu erkennen war. Oder... man probiert es einfach mal aus. 😉


Links:

Weitere Teile der Serie ab 2021 im E-Mobilitätsblog der Stadtimker

Video Nextmove: Test Verbrauch im Stromer über Nacht bei -5 Grad (Link)

Video Björn Nyland: Test Verbrauch im Stromer über Nacht bei -17 Grad, englisch (Link)

Video Björn Nyland: Test Verbrauch im Stromer über Nacht bei -36 Grad, englisch (Link)

Liste Mobility House: Ladedauer Elektrofahrzeuge 0-100% (Link)

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